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tanjaschneider96

Wohin führt mein Weg?


Ich sitze in einem kleinen Café in Kyoto, versteckt in den ruhigen Mauern eines alten Stadthauses. Das Obergeschoss, in dem ich mich niedergelassen habe, ist ganz in warmes Holz gehüllt; über mir spannen sich die alten Balken, die das Gewicht der Jahre tragen. Der Raum ist erfüllt von Licht, das sanft durch die großen Fenster fällt, lange Schatten auf den Holzfußboden wirft und das Grün der großblättrigen Pflanzen vor dem Fenster zum Leuchten bringt. Der Tag fühlt sich warm und einladend an, und das Licht, das durch die Fenster fällt, umhüllt die Szenerie wie ein stiller Segen.


Um mich herum sitzen andere Menschen, ganz in ihre eigenen Welten vertieft. Manche lesen, andere tippen auf ihren Laptops, einige starren gedankenverloren vor sich hin. Jeder hat seine eigene Realität, seine eigenen Träume, Gedanken und Wünsche – alles so nah und doch unendlich fern. Ein leiser Duft von Hojicha schwebt in der Luft und mischt sich mit dem warmen Holzgeruch des Raumes. Es ist, als ob der Raum selbst atmen würde, als würde er Geschichten erzählen von all den Menschen, die ihn durch die Jahre hinweg belebt haben.


Ich schaue aus dem Fenster und sehe das Leben unten auf der Straße vorbeiziehen. Menschen schlendern in ihrem eigenen Rhythmus, Autos und Busse rollen unaufhörlich vorbei. Der Himmel ist satt Blau, doch über dem heutigen Tag liegt ein sanfter Schleier, der ihn wie eine zärtliche Hand beruhigt. Alles sieht aus wie ein Gemälde, ruhig und in sich geschlossen. Und während ich diesen Moment in mir aufnehme, drängen plötzlich Fragen an die Oberfläche, die mich seit Langem begleiten.


Ist dieser Weg, den ich eingeschlagen habe, wirklich der richtige? Oder renne ich, immer auf der Suche nach irgendetwas, das ich vielleicht nie finden werde? Gerade das Sento-Buchprojekt hat mich in den letzten Tagen und Wochen immer wieder zweifeln lassen. Ich frage mich: Für wen schreibe ich dieses Buch? Geht es wirklich um die Sentos und ihre Kultur – oder ist es nur ein weiterer Versuch, Anerkennung zu bekommen, gelobt und geliebt zu werden? Könnte es sein, dass ich mich in den Dingen verliere, die ich schaffe, weil ich hoffe, dass sie mich zu jemandem machen, der wertvoll ist?


Es gibt Tage, da fühlt sich alles so schwer an, dass ich am liebsten das Handtuch werfen würde. Ich habe mir erst gestern die Frage gestellt, ob ich das Buchprojekt einfach aufgeben sollte. Wen würde es schon interessieren? Ein Teil von mir sagt, es wäre sowieso egal, ob ich das Buch schreibe oder nicht. Und doch ist da diese leise, hartnäckige Stimme in mir, die sagt, dass ich es beenden sollte. Dass ich mir und der Welt beweisen kann, dass ich Dinge zu Ende bringen, Hürden überwinden und daran wachsen kann.

Aber wenn ich ehrlich bin, frage ich mich auch: Was bleibt wirklich, wenn ich all das wegnehme? Wer bin ich, wenn niemand zuschaut? Warum fällt es mir so schwer, einfach glücklich zu sein? Stattdessen fliehe ich in die endlosen Weiten des Internets, in Filme, Bücher – in andere Welten, die mir für ein paar Minuten die eigene Realität vergessen lassen. Aber am Ende holen mich all diese Fragen nur umso stärker wieder ein. Ein endloser Kreislauf.


Vielleicht liegt die Antwort in einem einfachen Satz, den ich mir immer wieder selbst sagen möchte: Es ist okay. Dass Anerkennung und Liebe nicht von außen kommen müssen, sondern schon in mir selbst liegen. Doch so sehr ich das verstehe, so schwer fällt es mir, es wirklich zu leben. Ein Teil von mir sehnt sich immer noch nach dem Beweis, nach dem Gefühl, für andere da zu sein und etwas zu schaffen, das Spuren hinterlässt.


Und so sitze ich hier, in diesem kleinen Café in Kyoto, inmitten der stillen Wärme des Raumes, und lasse die Fragen zu. Vielleicht ist das schon ein kleiner Schritt – sie anzunehmen, statt ihnen zu entfliehen. Vielleicht ist das der Anfang einer Antwort auf die Frage, wohin dieser Weg wirklich führen soll.

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1 Comment


Guest
Nov 09

Das hast Du wunderschön geschrieben liebe Tanja. Ich bin dankbar es lesen zu dürfen. Du beschreibst sehr gut diese Diskrepanz von „etwas verstehen“ und es tatsächlich „zu leben“. Vermutlich ist genau das in ganz vielen von uns Menschen. Doch wie Du schon schreibst „es ist okay“. Das heißt nicht aufzuhören zu lernen es zu leben, aber behutsam mit sich umzugehen in diesem Prozess, nicht zu streng …

;)

Deine Art zu schreiben mag ich sehr ..

Herzliche Grüße aus Weimar

Katja


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