„Warum denn Japan?! “ Das ist meistens die Ausgangsfrage, wenn ich davon erzähle, dass ich hier lebe und arbeite. Meine Antwort lautet dann meist: „Das ist eine lange Geschichte.“ Denn das ist es wirklich.
Schon während des Abiturs faszinierte mich die japanische Sprache. Melodisch, weich und mit einer Eleganz, welche ihresgleichen sucht. So war es naheliegend, dass ich nach dem Abitur ein Auslandsjahr in Japan einlegte und über die Organisation WWOOF Japan durch das Land reiste. In dieser Zeit lernte ich nicht nur die Sprache weiter lieben, sondern auch das Leben hier, die Menschen, die Natur, das Klima und natürlich das Essen. Von 2016 bis 2019 studierte ich Japanologie und Medienwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und vertiefte mein Wissen über Japans Geschichte, Politik und natürlich auch meine Sprachkenntnisse. Doch viele Sprachlernende werden mir zustimmen, dass es schwer ist, im Land seiner Muttersprache eine Fremdsprache zu lernen. Ohne die nötige Disziplin fast unmöglich. Die Motivation schwand auch bei mir und ich verlor den Spaß an der Sprache, was mich zu einer Pause im Lernen und auch in der Auseinandersetzung mit dem Land selbst brachte. Nach Beginn des Masterstudiums im Studiengang Projekt-management an der Hochschule Merseburg lag mein Fokus hauptsächlich auf dem Studium. Gedanken an ein Auslandssemester oder Reisen – keine Chance. Und dann kam Anfang 2020 auch noch die Pandemie um die Ecke, welche mich in meiner 20 Quadratmeterwohnung und mit Onlineunterricht allein ließ.
WENN DIE WELT UM UNS HERUM ZU KLEIN WIRD, LASST SIE UNS GROSS TRÄUME
Jedoch genau das, dieses Alleinsein mit sich selbst, brachte meinen sonst so kreativen Kopf wieder in Wallung. Die Lust auf das Reisen kam wieder und mit ihr die tiefe Sehnsucht nach Japan – dem warmen Klima, den bunten Gassen, den Gegensätzen zwischen neu und alt und den herzlichen Menschen, in welche ich mich 2015 so verliebt hatte. Genau zu diesem Zeitpunkt, im Herbst 2020, startete der Kurs Entrepreneurship in meinem Studiengang. Zusammen mit drei Kommilitoninnen war es an der Zeit, eine einzigartige Geschäftsidee auf die Beine zu stellen und eine Seminararbeit in Form eines Businessplans zu schreiben. Damit war die Idee geboren, ein Ryokan, ein traditionell japanisches Hotel mit einem Onsen, einer Thermalquelle, in Deutschland zu errichten. Damit möchte ich ein kleines Stück Japan nach Deutschland holen. Nicht nur einen japanischen Garten, von denen es in Deutschland schon einige gibt, nein. Ich werde die japanische Gastfreundschaft, das Essen, die Atmosphäre mit all ihren Gerüchen, Farben und ihrer Authentizität nach Deutschland holen. In diesem Moment war nicht nur eine mit zahlreichen Herausforderungen verbundene Geschäftsidee geboren, sondern auch das Feuer wieder erwacht, welches mich vor acht Jahren zum Japanisch lernen bewegte. Ich wollte wieder in das Land reisen, in welchem ich mich so zu Hause gefühlt hatte. Doch wie sollte das gehen, wenn durch die Pandemie nicht nur in Deutschland das Leben eingeschränkt war, sondern Japan sogar die Landesgrenzen geschlossen hatte?
GUT DING WILL WEILE HABEN
Genau diese Worte nahm ich mir Silvester 2020 /2021 zu Herzen. Ich plante mein Praktikum, welches ich als Voraussetzung für das Schreiben der Masterarbeit brauchte, und verband dies mit einem Auslandssemester in Japan. Doch das war leichter gesagt als getan. Der Plan war, ab dem Wintersemester 2021 /2022 ein Urlaubssemester zu nehmen, um am Kudan Institute of Japanese Language and Culture in Tokio mein Japanisch aufzupolieren. Der Kurs, welchen ich mir ausgesucht hatte, sollte ein Jahr und drei Monate gehen und mir die Chance geben, Teilzeit in einem japanischen Ryokan in Tokio oder Umgebung zu arbeiten. Die Anmeldung für die Sprachschule war in trockenen Tüchern, das Visum hatte ich in der Tasche und auch das Urlaubssemester war genehmigt. Jetzt musste nur noch Japan seine Grenzen für Studierende wieder öffnen. Doch damit ließ sich das Land Zeit. Aufwendige Bestimmungen und zeitaufwendige Prüfungen von Dokumenten führten dazu, dass ich das Urlaubssemester in Deutschland mit Onlineunterricht verbrachte. Ich lebte nach japanischer Zeit und nahm von 01:00 bis 04:00 Uhr am Japanischunterricht teil.
LICHT AM ENDE DES PANDEMIE-TUNNELS
Im Februar 2022 war es dann endlich soweit. Japan öffnete die Grenzen für Studierende, und ich konnte einreisen. Nach einer Woche Quarantäne in einem Hotel in Tokio konnte mein Leben in Japan starten. Ich lebte bei einer durch die Sprachschule organisierten Gastfamilie und fand nach nur drei Monaten eine Praktikumsstelle in der Touristeninformation in Nihonbashi, Tokio. Nun wird sich bei einigen von euch die Frage stellen: Touristeninformation? Wollte sie nicht in einem Ryokan arbeiten? Ja, wollte ich. Nur aufgrund der damaligen Situation in Japan – bis Herbst 2022 durften keine Touristen einreisen – mussten viele Ryokans schließen oder Personal entlassen. Des Weiteren ist das Prinzip von Praktika hier in Japan nicht verbreitet.
Es gibt einige europäische Firmen, welche das Praktikumsprinzip auch hier in Japan weiterführen, aber traditionell japanische Hotels kennen dieses Prinzip nicht.
Daher war für mich das Nächste, was an meinen Praktikumswunsch herankam, die Teilzeitanstellung in der Touristeninformation. Hier lernte ich, die allseits berühmte japanische Servicekultur kennen. Immer ein Lächeln auf dem Gesicht, höflich distanziert und mit einer Wärme, die man sich in Deutschland manchmal wünschen würde. In meinem Verantwortlichkeitsbereich lagen Wegbeschreibungen auf Japanisch, Englisch und Deutsch, Touren in Nihonbashi für ausländische Gäste und das Herausgeben von Informationen über die Gegend. Außerdem half ich bei der Organisation und Durchführung von Events und bespielte das Instagram-Profil mit Fotos und Videos. Durch die tägliche Nutzung der Sprache verbesserte sich mein Japanisch in den letzten anderthalb Jahren enorm, sodass ich nach dem Beenden der Sprachschule schnell eine Vollzeitanstellung in einem Ryokan in der Nähe von Tokio fand, wo ich im Moment arbeite. Der Umweg über das Praktikum in der Touristeninformation hat mich in meinen Plänen, ein Ryokan in Deutschland zu eröffnen, noch bestärkt. Ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland etwas mehr Wärme und Gastfreundschaft gebrauchen könnten, ohne, dass sich die Servicekräfte vor den Gästen klein machen müssen. Denn das ist genau das, was ich hier in Japan gerade erleben, lernen und praktizieren darf.
Die nächsten anderthalb Jahre möchte ich aber erst einmal noch in Japan bleiben. Da ich im Oktober meine Masterarbeit abgegeben habe und sie jetzt „nur“ noch verteidigen muss, habe ich zukünftig umso mehr Zeit, in das japanische Leben einzutauchen und meine Pläne für ein Ryokan in Deutschland voranzutreiben.
Ich möchte jeden ermutigen, über den Tellerrand zu schauen und seinen Träumen zu folgen. Meine Erwartungen an meine Zeit hier wurden weit übertroffen, und ich bin mehr als glücklich und dankbar, diesen von außen betrachtet scheinbar großen Schritt gegangen zu sein. Alle, die mehr Details über aktuelle Pläne und vergangene Reisen wissen möchten, dürfen sich gern auf meinem Blog abonnieren.
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