間 - Das Konzept der Leere
- tanjaschneider96
- 29. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Leere. Warten. Ruhe. Stille... Können wir das eigentlich noch?

Der Zustand, wenn nichts passiert.
Alles einfach ist. Ruhe.
Der Moment zwischen den Ereignissen, die Worte zwischen den Zeilen.
Die Pausen in der Musik, die dem Stück den Rhythmus geben.
Der Moment nach einem Sommerregen, bevor die Sonne zwischen den Wolken durchbricht.
Der Moment des Stillstands, wenn der Wind für einen Augenblick innehält.
Gestern wurde ich wieder an dieses, tief in der japanischen Kultur verwurzelte, Prinzip erinnert. Aktuell bereite ich mich auf meine erste Kyudo-Prüfung vor und verbringe dementsprechend viel Zeit mit meinen Lehrern. Nach zwei Stunden intensivem Training, vielen Tipps und Tricks und einigen Pfeilen, die sogar die Scheibe trafen, nahm mich Matsuda-Sensei, einer meiner Lehrer, beiseite und fragte mich, ob ich neben dem Training zweimal pro Woche noch anderweitig übe.
Ich verneinte – und er runzelte die Stirn.
„Dann liegt es wahrscheinlich daran, dass du auch Teezeremonie lernst“, sagte er nach einem Moment der Stille.
Ich sah ihn fragend an.
„Was meinen Sie?“, fragte ich zurück – denn ich habe gelernt: Wer nicht fragt, bekommt keine Antworten.
„Das Aufstehen und Hinsetzen sieht sehr elegant und flüssig bei dir aus. Das liegt bestimmt daran, dass du dies aus der Teezeremonie übernimmst“, sagte er und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.
Ich spürte, dass er noch etwas sagen wollte – also ließ ich den Moment der Stille zu, der sich zwischen uns ausbreitete.
Nach einem tiefen Atemzug sah er mich an und sagte mit ruhiger Stimme:
„Ich würde mir nur wünschen, dass du mehr Raum lässt. Oder anders gesagt: dass du dir selbst mehr Raum nimmst. Geh nicht direkt in die nächste Bewegung über, sondern nimm dir die Zeit. Atme – und halte diesen Moment der Stille einfach aus. Das Prinzip des Ma 間 – der Raum zwischen den Bewegungen, in dem alles stillsteht – diesen Raum zu füllen und zu fühlen verleiht dem Bogenschützen eine Kraft, die nur im Moment des Nichts zu finden ist.“
Ich sah ihn an – und spürte: Das war gerade mehr als nur ein Kyudo-Ratschlag. Es war eine Lektion über das Leben.
Der Raum dazwischen. Die Pause. Das Nichts.
Diese flüchtigen Sekunden zwischen den Momenten.
Wir versuchen alle, in diesem einen Leben so schnell wie möglich voranzukommen.
Im „Zeitrahmen“ zu bleiben, den uns die Gesellschaft vorgibt: Mit 25 spätestens das Studium beendet haben, eine Vollzeitanstellung finden, bitte vor 30 verheiratet sein und mindestens zwei Kinder haben.Sonst ist man „zu langsam“.
Wir hasten von einem Ereignis zum nächsten, ohne innezuhalten und uns zu fragen:
Ist das eigentlich der Weg, den ich gehen möchte?
Erfüllt es mich, einen Punkt nach dem anderen von der vermeintlichen To-do-Liste des Lebens abzuhaken – und direkt zum nächsten überzugehen?
Ich frage mich in letzter Zeit oft, wo mein Gefühl der Freude und Leichtigkeit geblieben ist – jenes Gefühl, das ich in Japan während meiner Zeit des „einfach Seins“ so oft spürte. Wenn ich mit dem Zug zur Teezeremonie fuhr, wenn ich an einem Fluss, auf einer Wiese oder am Strand saß und einfach da war. Mein Ziel war es zu lernen, zu erleben – nicht irgendwo anzukommen.
Doch in den letzten Monaten verstärkt sich das Gefühl, dass mich die scheinbaren Erwartungen von außen irgendwo hinzudrücken versuchen.
Menschen, die mit ihren Handlungen und Gesprächen mich indirekt zu etwas hinziehen und mir signalisieren:
„Na, jetzt komm aber endlich mal zurück. Du warst lange genug weg.“
Aber wohin zurück? Warum nicht voran?
Warum nicht einfach weitergehen – und den Weg genießen, lernen, sein.
Ohne konkreten Endpunkt.
Ja, das ist vielleicht nicht das, was viele Menschen vom Leben erwarten.
Vielleicht ist es meine eigene, verschobene Wahrnehmung, dass ich nicht mehr in diesen klassischen Rahmen passe – den viele meiner Bekannten scheinbar gut ausfüllen.
Doch ich merke mit jedem Tag, der hier vergeht, wie viel ich noch erforschen, lernen, erleben möchte. Ich merke, dass ich erschaffen und teilen will. Es gibt hier in Japan noch so viel zu entdecken. So viele Menschen kennenzulernen. So viele Orte zu erleben.
Aber bin ich dafür bereit?
Bin ich kraftvoll genug, mir diesen Raum zu nehmen?
Bin ich stark genug, die Stille, die damit kommt, auszuhalten?
Wir werden sehen.– sprach der Blinde und vertraute auf seine Füße.
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